![]() Schon mal Ventricina gegessen? Wer diese Frage mit „Nein!“ beantwortet, war noch nie in den Abruzzen. Denn in dieser wunderschönen Region Mittelitaliens kann man nicht sein, ohne mit Ventricina in Kontakt zu kommen. Natürlich, Veganer*innen werden die Wurst nicht essen, aber nachdem sie fast immer auf der Speisekarte steht und einem auch von den Abruzzesi mit freudig glänzenden Augen angeboten oder empfohlen wird, merkt man relativ rasch, dass Ventricina etwas Wichtiges sein muss. So wie Wien die Sachertorte und das Wienerschnitzel hat oder Linz seine Linzertorte, wie Kassler Rippchen für Kassel und die Currywurst für Berlin steht, so haben die italienischen Abruzzen die Ventricina als kulinarisches Identifikationsobjekt. Ventricina - was ist das denn? Es handelt es sich hier um eine geschmacklich herausragende Wurst, eine weiche gewürzte Rohwurst aus den besten Teilen des Schweins. Die ventricina hat ihren Namen vom italienischen Wort „ventre“ = Bauch, weil als Wursthülle traditionell der Schweinemagen verwendet wird. Das klingt vielleicht nicht appetitlich, ist aber einfach die natürliche Hülle. Sie muss nicht künstlich erzeugt werden, sondern ist ein kostbarer Teil des Schweines und wird weiterverwendet. In den Abruzzen gibt es dazu auch den geflügelten Spruch: "Nichts vom Schwein wird weggeworfen", auf italienisch „Dal maiale non si butta via niente.“ Im deutschen Sprachraum werden zum Beispiel auch Kochwürste, Sülz- oder Presswürste mit Schweinemagen umhüllt. Und natürlich werden die Scheinemägen gut gereinigt. Zur Vorbereitung der Herstellung der Ventricina parfümiert man in den Abruzzen den gereinigten Schweinemagen in einer Mischung aus Wasser, Essig, Orangenschalen, Knoblauch und Lorbeer. Schweine sind in den Abruzzen beinahe Heiligtümer Das hat sich im Laufe der Jahre natürlich schon ein wenig geändert und Schweine sind keine Heiligtümer mehr, aber die Haltung von Schweinen hat eine lange Tradition in den Abruzzen. Die Schweine wurden meist im Winter gekauft und dann das ganze Jahr über gemästet, bis sie nicht selten ein Gewicht von 180 – 200 kg hatten. Viele der Schweine wurden liebevoll gehegt und gepflegt und waren fast schon ein Teil der Familie. In den traditionellen Wohnhäusern der abruzzesischen Bauern war das auch architektonisch zu erkennen. Man lebte im sogenannten rustico, also einer Art kleinem einfachem Bauernhaus gleich beim Feld. Ebenerdig lebten die Tiere, gleich daneben befand sich die Küche mit einem offenen Kamin und darüber im ersten Stock schlief man. Genau so ein rustico haben wir uns übrigens ja vor bald zwei Jahren gekauft und renovieren es langsam und vorsichtig. Aber zurück zu den Schweinen und Ihrer wichtigen Bedeutung in den italienischen Abruzzen. Einer Erzählung nach soll es in manchen Familien auch üblich sein, dass zum Schlachttag dem Familienvater ein Sessel und ein Glas Montepulciano-Wein bereit gestellt wurde. Erlitt der Familienvater während der Arbeit einen Schwächeanfall, weil er sein geliebtes Schwein schlachten musste, konnte er sich auf dem Stuhl ausruhen und mit einem Schluck Wein wieder zu Kräften kommen. Die meisten Familien hatten eben auch nur ein Schwein, das man aufzog, gut fütterte und gut behandelte und durch die Schlachtung hatte die Familie dann beinahe ein Jahr lang Schweinefleisch, Würste und alle anderen Teile zur kulinarischen Verarbeitung zur Verfügung. Es herrschte eine große Dankbarkeit gegenüber dem Hausschwein. Die Ventricina entstand aus der Tradition in den Abruzzen, Fleischteile vom Schwein im Schweinemagen aufzubewahren. Dort waren sie einige Zeit vor Ungeziefer und dem Austrocknen geschützt. Im Laufe der Zeit änderte sich das allmählich. Das Fleisch wurde dann mit Salz und anderen Gewürzen wie scharfem Chili gewürzt und in der Küche am offenen Feuer hängen gelassen, damit es reift. Danach trocknete man es an der frischen Luft und durch dieses aufwändige und überlegte Procedere blieb die Rohwurst lange Zeit haltbar. Die Menschen konnten mit dem so haltbar gemachten Fleisch gut durch den Winter und Frühling kommen, bis sie sich im späten Frühling auch wieder vom Ertrag Ihrer Felder ernähren konnten. Die Ventricina erreichte übrigens schon damals auch über die Region der Abruzzen hinaus Bekanntheit. Und im 18. Jahrhundert soll sie sogar die Lieblingswurst des Königs von Neapel gewesen sein. „250 Gramm Ventricina, bitte!“ - „Va bene, aber welche denn…?“ So ergeht es uns, wenn wir in einer abruzzesischen macelleria (Fleischhauerei) Ventricina bestellen. Denn einfach ist ja schön, aber kompliziert ist besser! Damit Ihr dann nicht ratlos dasteht, falls Ihr einmal Ventricina bestellen wollt, erkläre ich Euch ein paar Fakten und Unterschiede. Die Frage aller Fragen ganz zum Anfang: wo seid Ihr denn? Bevor Ihr in der macelleria diese Super-Wurst bestellt, solltet Ihr Euch einmal umblicken und Euren Stadtplan oder heute wahrscheinlich eher das Handy zücken und nachprüfen, in welchem Teil der Abruzzen Ihr Euch befindet. Und hier ist die Frage aller Fragen: Chieti oder Teramo?! Das ist so ein bedeutsamer Unterschied wie zum Beispiel in Österreich Weinviertel oder Mostviertel, beziehungsweise in Deutschland Mosel oder Rhein? ❗️Ihr seid weder im Gebiet von Chieti oder Teramo, sondern in der Provinz Pescara oder L’Aquila? Ok, dann kann folgendes passieren: 🇮🇹Variante 1 - der Fleischhauer erkennt Euch als Tourist und berät Euch, in dem er Euch seine eigene Spezialität verkauft, die auch superlecker ist. Resultat: = Ihr geht ohne ventricina raus. 🇮🇹Variante 2 - der Fleischhauer erkennt Euch als Tourist und verkauft Euch eine Ventricina di Vasto (Chieti) oder teramana (Teramo), weil seine Familie dort Wurzeln hat oder seine Großmutter aus dieser Region stammt oder seine alte Flamme oder weil er selbst auch nicht ohne Ventricina leben könnte. Resultat: = Ihr geht mit einer Ventricina raus, die nicht ortsansässig ist aber eingeheiratet/verwandt ist oder einen romantischen Hintergrund hat oder überlebenswichtig ist. 🇮🇹Variante 3 - der Fleischhauer erkennt Euch als Tourist, er will Euch etwas anderes verkaufen, Ihr wollt das aber nicht. Resultat: = Ihr geht ohne Ventricina raus. Geht um die Ecke in den nächstgelegenen großen Supermarkt, schnappt Euch dort eine Ventricina, bezahlt und wundert Euch über die komplizierten Umwege, die Ihr nehmen musstet, um diese Wurst zu ergattern. ❗️Ihr seid im Gebiet Chieti oder Teramo und Ihr wisst das sogar, geht daher auf die Suche nach einer macelleria, findet eine und verlangt dort nach einer Ventricina. 🇮🇹Variante 1 - Ihr bekommt ohne weiteres Erklären und Nachfragen eine Ventricina, bezahlt, geht hinaus und denkt Euch, dass die Autorin dieser Zeilen aber schon spinnt, denn so schwer war das jetzt echt nicht! 🇮🇹Variante 2 - va bene, aber welche denn bitte? Heureka. nun wisst Ihr, dass Ihr Euch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Gebiet Chieti aufhaltet. Und keine Sorge, Ihr werdet Eure Ventricina bekommen und beim Verspeisen beinahe Tränen des Glücks verdrücken, weil sie so gut schmeckt! Aber! Welche wollt Ihr denn….? Wollt Ihr die 🇮🇹Ventricina Lunga? Sie ist eine schnittfähige Rohwurst vom Schwein und hat ein grobes Schnittbild mit deutlich sichtbaren Fleisch- und Fettstücken und eine kräftige orange-rote Farbe! Warum denn orange-rot? Genau, Achtung, scharf!! Sie ist mit Pfefferoni gewürzt. Unsere macelleria, bei der wir immer die ventricina kaufen, verfeinert diese Wurst zusätzlich mit wildem Fenchel. Herrlich, dieser süß-scharfe Geschmack, sag ich Euch…! Oder nehmt Ihr lieber die 🇮🇹 Ventricina bianca? Sie ist nicht weiß, Ihr Name täuscht. Sie ist einfach milder und zarter im Geschmack. Sie wird genau so zubereitet wie Ihre feurige Schwester, auch mit wildem Fenchel und Pfeffer, aber eben ohne Pfefferoni. Wir lieben Ventricina di Vasto Die beiden Ventricina-Sorten bianca und lunga nehmen wir jedesmal nach Wien mit, wenn wir aus den Abruzzen abreisen müssen. Unsere ventricina vastese kommt aus der Gegend um Vasto, einer schönen kleinen Stadt, die im Bezirk Chieti direkt an der Adria liegt. Ihr könnt beide Vastese - Sorten bei uns bestellen oder im onlineshop kaufen. Die Ventricina legen wir Euch wirklich ans Herz, denn sie schmeckt einfach herausragend gut. Italiener*innen, die in den Abruzzen Urlaub machen, kaufen diese Wurst auch immer als Mitbringsel für Ihre „armen“ italienischen Verwandten, die sonst ein Leben ohne Ventricina aushalten müssten… Nein, Scherz beiseite, die Ventricina ist in ganz Italien bekannt, hoch geschätzt und begehrt, wird aber nur in den Abruzzen hergestellt und ist das kulinarische Erkennungsmerksmal dieser Region Mittelitaliens. Ventricina ist nicht fürs Wurstbrot da Eine echte Ventricina hat übrigens einen Durchmesser von 90 bis 200 mm und wiegt zwischen 1 und 2,5 kg. Sie lässt sich wie eine Salami in Scheiben schneiden und eignet sich gut als Antipasto oder als Belag auf Pizza. Zu ihrer Höchstform läuft die Ventricina auf, wenn man mit ihr Sugos für Pasta herstellt oder gekaufte Sugos damit perfektioniert. Ich verlinke Euch hier gleich unser liebstes Ventricina-Rezept: chitarra alla ventricina di Vasto. Dieses Pastarezept kommt bei uns mindestens einmal in der Woche auf den Tisch und in den Abruzzen findet es Ihr in jedem guten Lokal, in dem Einheimische essen, egal ob trattoria, osteria oder ristorante. Übrigens, wenn Ihr die Ventricina kostet, dann schneidet sie bitte zuerst in Scheiben und danach in Würfel, denn so entfaltet sie Ihr volles Aroma. ![]() Auf diese Weise wird sie auch in den Abruzzen zu einem guten Glas Rotwein verspeist. Wir empfehlen Euch dazu einen Montepulciano d´Abruzzo. Auf Euch wartet eine große Auswahl an Weinen aus den Abruzzen. Schaut gerne jederzeit in unserem Onlineshop vorbei und gustiert! ❤️ Ohne Ventricina keine Abruzzen Ich hoffe, ich habe Euch gut informiert und auch ein wenig unterhalten und Ihr wisst jetzt Bescheid über Ihre Majestät, die Ventricina. Wenn Ihr Euch also mal etwas wirklich Gutes gönnen wollt, dann greift bitte zur Ventricina. Diese Wurst ist nicht mager, diese Wurst ist nicht vegan, diese Wurst ist nicht fettfrei - aber sie ist ehrlich, authentisch, regional und von geprüfter Qualität. Die Ventricina blickt auf eine lange Geschichte in den Abruzzen zurück und ist bis heute ein Identifikationslebensmittel für die Region. Ohne Ventricina keine Abruzzen. Mahlzeit! Buon appetito! © Mag.a. Karin Kisser-Cyran Alle Text und Bildrechte liegen bei der Autorin.
5 Kommentare
Karin
31/3/2022 09:31:10
Ich bin neugierig : Hast Du schon mal eine Ventricina gegessen? Antworte mir gerne in den Kommentaren 😊 Deine Karin
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Peter
24/8/2022 09:18:32
Spannende Geschichte. Und nein, Ventricina haben wir noch nie gegessen. Jetzt bin ich aber neugierig geworden!
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Karin
4/10/2022 13:15:49
Ciao Peter, Du bist neugierig geworden? Ziel erreicht! 😉 Die Ventricina lässt sich auch mit keiner Wurst hier in Österreich vergleichen, so speziell ist sie.
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Maximilian
31/1/2023 15:46:05
Ventricina kannte ich noch nicht. Und dass die in Italien so bekannt ist - bei uns ja gar nicht.
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Karin
11/3/2023 09:16:44
Ja, das ist wirklich eigenartig, dass man Ventricina außerhalb Italiens kaum kennt. Obwohl sie so besonders ist.
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AutorinMag. Karin Kisser-Cyran Bisherige Blogartikel
Mai 2023
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