La festa di San Martino - Fröhlich, laut und ungewöhnlich - Das Martinsfest in den Abruzzen15/11/2021 Was ist das Fest San Martino denn?n den Abruzzen ticken die Uhren manchmal ganz anders! Der Heilige Martin wird am 11. November zwar auch als religiöses Fest zelebriert, aber die Bevölkerung hat weitaus wildere St. Martins-Traditionen.… In den Abruzzen, einem Land der geheimnisvollen Traditionen und Folklore, wird dieser Tag mit verschiedenen Zeremonien gefeiert, es gibt Prozessionen, Versöhnungsrituale, opulente Bankette und Tänze um das Feuer. Abseits des kirchlichen Festes von San Martino, dem Heiligen, der seinen Mantel geteilt hat, um ihn einem frierenden Bettler zu geben, zelebrieren die Menschen der mittelitalienischen Region Abruzzen diesen Feiertag in ihren Dörfern, ihren Städten und innerhalb der Familien und Freunde doch sehr ausführlich und bestimmt. Und wie so oft in dieser Region - jedes Dorf hat seine eigenen Traditionen anlässlich San Martino, seine eigene Abläufe und sogar eigenes Gebäck oder Pizza, das traditionell verspeist wird. Grüsse und Sprüche zu San MartinoAm 11. November und oft auch noch an den folgenden Tagen begrüßen die Abruzzesi einander mit „Buon San Martino!“, also „einen schönen Sankt Martins-Tag!“ Bei vielen Feierlichkeiten wird auch der Satz „a San Martino ogni mosto diventa vino!“ gerufen. Das bedeutet „an Sankt Martin wird jeder Most zu Wein!“ Die Legende dazu besagt, dass Martino eigentlich ein Trinker war. Eines Nachts kam er betrunken nach Hause und wollte seine Frau aber nicht aufwecken. Daher entschied er sich, im Keller zu schlafen, angesichts der November-Temperaturen erfror er jedoch. Er wurde von seiner Frau gefunden, die sah, wie ein Weinstock aus seinem Mund wuchs und ein Weinfass speiste, in dem sich der Wein dann auf wundersame Weise reproduzierte. Dieses Wunder machte Martin zu einem Heiligen und natürlich eignet er sich auch vorzüglich als Schutzpatrons des Weins. Daran erinnert also in den Abruzzen das Spruchwort „a san Martino ogni mosto diventa vino.“ Ein weiterer Brauch, der auch heute noch oft in den Abruzzen gelebt wird, gilt der Brot- oder Süßwarenherstellung. Während des Brot- oder Kuchenbackens hilft die geflüsterte Beschwörung „San Martino!“ dabei, dass der Sauerteig gut wird. Schließlich ist der heilige Martin in den Abruzzen ja der Heilige des Überflusses! Während San Martino in der christlichen Religion eine mit Armut verbundene Figur ist, repräsentiert er in der Populärkultur der Abruzzen die Fülle und Fruchtbarkeit der Erde. Das Sprichwort „Ce sta lu sante Martino“ wird verwendet, wenn es in einem Haus sehr viele Vorräte gibt und es an Nahrung nicht mangelt. Frei übersetzt: „Hier wohnt der Heilige Martin!“ Typische Getränke und Gerichte zu San MartinoViele Ortschaften haben Ihre eigenen Essgewohnheiten an diesem Tag, der gemeinsame Nenner ist aber bei allen: es kommen Kastanien und der „Novello“, der neue Wein auf den Tisch. Und das ist natürlich für alle eine große Freude und auch eine besondere Aufregung: wie wird der Novello heuer schmecken? Ist er gelungen? Man trinkt ein Gläschen miteinander und freut sich des Lebens. Betrunkene Menschen sieht man dann aber kaum, denn Italiener:innen verstehen es meisterlich, immer souverän und gut auszusehen. Betrunkene sind im allgemeinen nicht gern gesehen und Ihre Freude und Lebenslust zeigen Italiener:innen sowieso auch nüchtern. Sie haben ´s einfach drauf! Und jetzt wird es spannend… bisher habe ich ja noch nicht so viel verraten aber nun geht es in medias res: Die ungewöhnlichsten Feierlichkeiten in den Abruzzen rund um San MartinoIm Ort San Valentino in Abruzzo Citeriore (PE) ist San Martino der Beschützer der betrogenen Ehemänner… Der Legende nach soll die Schwester des heiligen Martins eine fleischliche Sünde begangen haben, nachdem sie der Kontrolle ihres Bruders entkommen war. In Erinnerung daran zogen Mitte des 19. Jahrhunderts Tiere mit Hörnern - Hornträger - durch die Stadt. La processione dei cornuti- die Prozession der Gehörnten Diese Tradition wird mit einer Prozession durchs Dorf gefeiert, bei der man die Hornträger-Tiere heutzutage durch Männer ersetzt, die Hörner in den Händen halten oder auf dem Kopf tragen. Manche dieser Hörner sind sehr groß und schwer, andere Prozessionsteilnehmer haben kleine Plastikhörnchen auf Ihren Hüten oder Baseballcaps befestigt. Als "Reliquie" wird ein phallisches Symbol mitgetragen, das verhüllt ist und von den letzten Verheirateten des Vorjahres durch die Straßen der Stadt begleitet wird. Während der Prozession wird die "Reliquie" enthüllt und dem Mann überreicht, der als letzter geheiratet hat. An der Prozession nehmen wenn möglich alle Männer des Dorfs teil, von ganz jung bis zu ganz alt. Diese Prozession kann bei nebeligem Wetter auch sehr mystisch aussehen, wird aber immer von vielen Scherzen und Gelächter begleitet. „Mann“ nimmt es mit Humor! Die Herrlichkeiten von San Martino in Scanno: In der Nacht vom 10. auf den 11. November werden in Scanno „Le glorie di San Martino“ also die Herrlichkeiten von San Martino gefeiert. Die jungen Leute des Ortes Scanno färben sich ihre Gesichter mit Kohle schwarz und singen und tanzen. Drei „Palanconi“ - sehr hohe Holz- und Gestrüpphaufen - wurden in den Tagen vor dem 10. November auf den Hügeln rund um das Dorf aufgebaut. Jeder Holzturm steht für einen der drei Bezirke Scannos: Plaja, San Martino und Cardella. Nach Sonnenuntergang werden die drei gleichzeitig in Brand gesteckt. Alle verfolgen gemeinsam singend, lachend und scherzend diesen lodernden Brand, den man auch von großer Entfernung noch sehen kann. Die Türme sind oft bis zu 20 Meter hoch. Die Dorfbewohner feuern ihre „Gloria“, also den brennenden turmhohen Holzhaufen ihres eigenen Bezirks an. Die Gloria, die zuletzt abbrennt, siegt. Wenn alles verbrannt ist, ziehen alle gemeinsam ins Dorf. Dort bietet man die Glut des Siegesfeuers als phallisches Symbol der Frau an, die als letzte geheiratet hat. Und diese Ehefrau gibt im Gegenzug allen Wein und Süßigkeiten. Am Ende der Feierlichkeiten wird ein typisches Gericht aus Scanno verkostet: „La Pizza coi quattrini“. Diese Pizza, die eigentlich eine Focaccia ist, wird aus gelbem Mehl, Honig, Walnüssen und getrockneten Feigen, zubereitet. Darin ist auch noch ein quattrino, eine Geldmünze, versteckt. Viel Lärm um Sankt Martin In Casoli (CH) zieht am 11. November ein lärmender und ungewöhnlicher St. Martins- Umzug namens „le ciuocchele“ durch die Straßen des Dorfes: die Menschen ziehen Blechdosen, die mit Kieselsteinen gefüllt sind, durch die Ortschaft. Das ist der Kieselstein-Umzug und lärmempfindliche Menschen brauchen an diesem Tag in Casoli gute Nerven… San Martino und Anis Im Örtchen Salle (PE) hingegen wird vor allem lukullisch gefeiert! Mit der „Pizza di San Martino“, die fein nach Anis schmeckt - weil sie nach einem alten Rezept mit Anis gemacht ist.. - und vino novello gedenkt man San Martino und alle feiern mit. San Martino und der Truthahn von Nereto In Nereto (TE), wiederum, das im schönen Val Vibrata liegt, ist der Tag des San Martino dem „Tacchino alla neretese" gewidmet. Dieser Truthahn nach Nereto-Art schmeckt köstlich nach Rosmarin und Knoblauch. Und weil San Martino auch der Schutzpatron der Stadt ist, feiert die Bevölkerung auf alle Fälle gemeinsam mit. Der bäuerliche Aspekt von San MartinoDie Arbeit darf ruhen In den Abruzzen aber auch in vielen anderen Teilen Italiens ist der 11. November ein sehr wichtiges Datum für alle bäuerlichen Tätigkeiten. Der Tag von San Martino bedeutet bis heute die Beendigung der landwirtschaftlichen Tätigkeit auf Feldern, Äckern und in Weingärten. Und er fällt mit der Zeit zusammen, in der die ersten Fässer für die Verkostung des neuen Weines geöffnet und mit Kastanien gegessen wurden. Ablauf der Pachtverträge an San Martino Seit dem Mittelalter bezeichnete der 11. November jedoch auch das Ablaufdatum aller Agrarverträge, vor allem auch der Pachtverträge. Danach würde ein neues Wirtschaftsjahr beginnen. Es war also tatsächlich der Tag, an dem alle landwirtschaftliche Arbeit endete. Durch das feudalistische System der „Mezzadria“ konnte dieser Tag aber auch in einer Tragödie enden. Denn wollte der Pachtherr den Vertrag, aus welchem Grund auch immer, nicht verlängern, so musste der Pächter unverzüglich Haus und Hof verlassen. Er stand dann Mitte November mitsamt seiner Familie und seinem wenigen Hab und Gut ohne Arbeit und ohne Dach über dem Kopf da und musste raschest einen Pachtherren finden, der bereit war, ihn einzustellen. Daher bedeutet der Ausdruck „Fare San Martino" - also „San Martino machen“ wörtlich auch heute noch in den Abruzzen „Umzug“ oder „umziehen“. Im Gegenzug können wir uns alle sicher gut vorstellen, welch ein Freudentag San Martino war, wenn der Pachtvertrag verlängert wurde… dann verwandelte sich der 11. November für den glücklichen Pächter und seine Familie in einen wahren Festtag. |
AutorinMag. Karin Kisser-Cyran Bisherige Blogartikel
Mai 2023
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